Es gibt kaum etwas Wertvolleres als ehrliches Feedback. Aber im Gegenzug gibt es auch wenig Nervigeres und Schädlicheres (!) als ungebetene Ratschläge im Business. Warum ich mir wünsche, dass wir alle hier achtsamer werden, welche sechs Typen ungebetener Ratschläge ich täglich sehe und welche große Gefahr ungebetene Ratschläge sein können, liest du hier.
Inhalt:
- 1 Der Klassiker der ungebetenen Ratschläge, den fast jede*r Selbstständige kennt
- 2 Vom großen Segen ehrlicher Feedbacks
- 3 Und der Fluch der ungebetenen Ratschläge
- 4 6 Typen ungebetener Ratschläge
- 4.1 1. Die „So gefällt mir das nicht“-Schleuder
- 4.2 2. Die „Ich hab keine Ahnung, aber ganz viel Meinung“-Feedbacks
- 4.3 3. Mansplaining oder „Mädchen, ich erklärt dir das mal“
- 4.4 4. Der „Ich hab das aber ganz anders gehört“-Teufelskreis
- 4.5 5. Die „Du hast zwar was anderes gefragt, aber wenn wir schon reden, muss ich noch sagen…“-Schleife
- 4.6 6. Die „Ich habe bei dir x Fehler gefunden!“-Rufe
- 5 Aber darf man denn nun gar nichts mehr sagen?
- 6 Warum ungebetene Ratschläge mehr schaden als nutzen
- 7 Warum ich mir mehr Achtsamkeit beim Feedbacken wünsche
Der Klassiker der ungebetenen Ratschläge, den fast jede*r Selbstständige kennt
Wie nähere ich mich diesem Thema, das sicher ein heikles ist, am besten? Vielleicht mit einem der Klassiker der ungebetenen Ratschläge, der gleich die große Bandbreite dieses Themas offenbart. Vielleicht kennst du ihn ja auch: den ungebetenen Ratschlag zum Start in dein eigenes Business. Was kommt da nicht alles an Reaktionen, wenn wir unserer Familie, unseren Freund*innen und Kolleg*innen davon erzählen, dass wir uns selbstständig machen.
Zuspruch, ja, durchaus auch, wenn wir Glück haben. Aber daneben eben häufig auch dies:
- „Ja, ist das denn nicht viel zu unsicher? Also ich würde das nicht machen!“
- „Also davon kann man doch nicht leben! Ich würde auf keinen Fall kündigen!“
- „Aber zeitlich ist das schon schwierig, mach doch lieber noch was nebenbei. Die Helga sucht gerade Leute, die…“
- „Vielleicht kannst du ja gleich zu Beginn erst mal mit xy starten, weil…“
- „Puh, also ich würde mich das nicht trauen und hätte dich gar nicht so risikofreudig eingeschätzt!“
- „Bist du dir denn wirklich sicher, ob das gutgehen kann? Ich denke gerade in der heutigen Zeit…“
Diese Liste könnte unendlich weitergehen, aber sie zeigt eins schon sehr gut: Die wenigsten ungebetenen Ratschläge sind tatsächlich negativ gemeint. Der Grundgedanke dahinter ist meist, der anderen Person helfen zu wollen, indem man sie auf mögliche Gefahren hinweist. So wie Eltern ihren Kindern immer nochmal mit auf den Weg geben, an der großen Kreuzung besonders gut auf die Straße zu achten, obwohl die Kinder den Weg vielleicht schon 100 mal gegangen sind.
Es ist meistens gut gemeint. Aber, und das ist der Punkt, der eben nicht jeden ungebetenen Ratschlag per se rechtfertigt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Im Bezug auf Ratschläge im Business sogar oft das genaue Gegenteil. Außerdem: Wir sind alle erwachsen und brauchen keine Mamas und Papas, die mit erhobenem Zeigefinger dastehen und uns erklären, wie wir unser Business zu führen haben.
Vom großen Segen ehrlicher Feedbacks
Ehrliches und konstruktives Feedback zu bekommen ist pures Gold. Voraussetzung aber eben: Du hast danach gefragt. Denn die Tatsache, dass die Frage nach Rückmeldungen von dir ausging, schafft eine ganz andere Offenheit. Du bringst dich in Stellung und bist bereit Feedback anzunehmen, um dich zu verbessern.
Beispiel: Nehmen wir an, du entwickelst ein Angebot und bittest die ersten drei (Test-)kund*innen um ihr ehrliches Feedback dazu. Natürlich willst du da alles hören: die guten Dinge und die, die nicht so toll gelaufen sind. Mega wichtig, denn daraus kannst du lernen und dein Angebot kontinuierlich verbessern. Bitte frag also regelmäßig nach Feedback, falls du das nicht eh schon tust. Regelmäßig und gründlich. Das kann sehr viel bringen.
Und der Fluch der ungebetenen Ratschläge
Was aber gar nicht geht und, ich kann es gar nicht mehr anders sagen, mich so dermaßen nervt, sind ungebetene Ratschläge von Menschen, die dir ihre Meinung entgegenwerfen, obwohl du gar nicht darum gebeten hast. Sie sind so unnötig und machen mich inzwischen auch wirklich wütend, weil sie einfach zuverlässig jedes Mal kommen, wenn ich bestimmte Dinge anstoße und selbst wenn sie gut gemeint sein sollten, gar nicht viel Gutes, sondern sehr viel Nerviges, teilweise auch Belastendes mitbringen.
Vielleicht kennst du den Spruch „Auch Ratschläge sind Schläge“. An dem ist tatsächlich enorm viel Wahres dran.
Aber lass uns da noch tiefer gehen. Was genau meine ich mit ungebetenen Ratschlägen? Nun, mit einem ungebetenen Ratschlag meine ich:
- Ungefragt an dich herangetragenes Feedback zu deiner Arbeitsweise, deiner Kommunikation, deinen Entscheidungen, deiner gesamten Art und Weise inkl. gleich mitgelieferter Verbesserungsvorschläge
- Sowie Meinungsäußerungen ohne Handlungsaufforderung, die aber klar und unmissverständlich zeigen, dass jemand mit deiner Herangehensweise nicht d’accord ist. Denn ja, auch ohne aktive Handlungsaufforderung kann ein Feedback ein ungebetener Ratschlag sein. Dann eben ein eher verdeckter.
Also zusammengefasst: Alles, was eher negativ (wenn auch konstruktiv GEMEINT) ist und ohne explizite Aufforderung desjenigen, der das Feedback bekommt, geäußert wird, ist für mich ein ungebetener Ratschlag.
6 Typen ungebetener Ratschläge
Wie gesagt: Ungebetene Ratschläge kommen nicht immer im Holzhammer-Methoden-Style und als heftige Kritik geartet daher. Sie erscheinen in ganz unterschiedlichem Gewand. Sechs dieser Formen inkl. Beispiele, die entweder an mich herangetragen wurden, oder die ich selbst erlebt habe, möchte ich dir näher vorstellen. Damit du ein Gefühl dafür bekommst, was wir (ja, sicherlich auch du und ich, wenn auch oft unabsichtlich) mit unserer Kommunikation auslösen können.
1. Die „So gefällt mir das nicht“-Schleuder
Die nervigsten ungebetenen Ratschläge, die ich selbst bekomme, fallen mir immer dann auf, wenn ich aktiv etwas verkaufe. Am häufigsten in den Launches, also zeitlich begrenzten Verkaufszeiträumen meiner Onlinekurse und -Programme.
Denn auch wenn die überwiegende Zahl der Feedbacks, die ohne Bitte nach Rückmeldung zu mir gelangen positiv sind (das ist ja auch völlig okay, dazu später noch mehr), hauen einige einzelne ungebetene Ratschläge doch mit umso mehr Gewicht rein. Ich höre dann Dinge wie:
- „Du bist mir zu penetrant, wenn du das drei Mal wiederholst, Sonja!“
- „Es reicht, ich habe die Info über den Kurs neulich schon gelesen!“,
- „Ich beobachte interessiert, was du machst. Es erinnert mich an Uhrenhändler am Strand.“
- „Ich denke mir manchmal: Für das, was du selbst predigst, bist du ganz schön laut!“
- “ Dieses Gendern ist so schrecklich, eine Zerstörung der Sprache. Ich lasse mir von dir nicht sagen, wie ich zu schreiben habe!“
Wohlgemerkt, all diese Feedbacks kamen, weil ich in meinem Newsletter meinen Abonnent*innen Informationen über meine Angebote schicke. Und klar, weil es ein befristeter Angebotszeitraum ist, wiederhole ich das sogar mehrmals. Oder darauf, dass ICH in meinen Texten gendere; natürlich steht jedem frei, das zu tun oder zu lassen, das gebe ich nirgends vor.
Die Intensität solcher Feedbacks geht von reinen Mitteilungen über das eigene Empfinden bis hin zu getarnten oder ganz offensichtlichen Beleidigungen. Denn nichts anderes sind solche Uhrenhändler-am-Strand-Vergleiche und das Infragestellen meiner eigenen Werte, gegen die ich angeblich verstoße für mich. Also im Grunde ziemlich dreist, sowas einfach mal in den Raum zu schleudern. Manchmal sind solche Rückmeldungen ergänzt um ein „Bitte nicht falsch verstehen“ oder „Ist nicht böse gemeint“, aber am Inhalt ändert das ja nichts. Und auch das berühmte „Ich bin halt einfach ehrlich“ rechtfertig nicht, jemandem ungefragt alles Mögliche an den Kopf zu werfen.
Natürlich kann man Meinungen wie diese haben. Aber der Unterschied ist, ob man sie dem anderen ungefragt entgegenschleudert, oder für sich behält. Oder verlässt irgendjemand wutschnaubend ein Uhrengeschäft, in dem der Verkäufer sich gewagt hat, über seine tollen Uhren zu sprechen? Auch wenn es online abstrakter ist: Wer sich in einen Newsletter einträgt, betritt das Geschäft eines anderen. Man kann dieses Geschäft natürlich jederzeit verlassen, aber das geht auch ohne nochmal (verbalen) Müll auf den Teppich zu schmeißen.
Was passiert aber in Beispielen wie meinen? Die Leute verlassen den Laden (melden sich vom Newsletter ab) und rufen dann den Ladenbesitzer an und erzählen ihm, warum sie gegangen sind und wie aufdringlich sie das fanden, dass er in seinem Geschäft von seiner Ware erzählt hat.
Schräges Bild, oder? Ja, definitiv. Aber genauso verhalten sich Menschen, die mit der „So gefällt mir das nicht“-Schleuder um sich werfen.
2. Die „Ich hab keine Ahnung, aber ganz viel Meinung“-Feedbacks
Wer kennt sie nicht, die Feedbacks der Menschen, die von unserem Bereich gar keine Ahnung haben, dafür aber ganz viel Meinung loswerden wollen? In diese Kategorie fallen dann Feedbacks wie:
- „Ich würde den Verkaufstext ganz anders einleiten, damit man erst mal langsam gucken kann…“
- „Und wenn du dich einfach breiter positionierst, dann kommen sicher mehr Kund*innen“
- „Ich habe das Logo meiner Schwiegermutter gezeigt und sie findet, dass Blau nicht so gut zu meinem Business passt.“
- „Eigentlich fand ich den Text super. Aber der Neffe meines Nachbarn, dessen Ex-Freundin auch Texterin war, meinte, der wäre zu lang, deshalb würde ich xyz anders machen.“
- „Ich würde einfach nur eine Mail schicken im Launch. Dann hatte ja jeder die Chance es mitzubekommen.“
Puh, tief durchatmen. Was das Schwierige bei den „Ich hab keine Ahnung, aber ganz viel Meinung“-Feedbacks ist, ist vor allem die Menge an Zeit, die man bräuchte, um überhaupt auf eine gemeinsame Ausgangsbasis zu kommen. Denn natürlich denkst du dir etwas bei der Länge deiner Texte, bei der Farbe des Logos, das du designst, bei der Menge an Mails, die du schickst. Und dein Gegenüber wirft dir einen Satz hin und stellt damit einfach mal deine gesamte Kompetenz in Frage. Wo soll man da anfangen? Bei der Psychologie des Verkaufs? Bei Farben und ihrer Wirkung? Dabei, dass der Neffe vielleicht bestimmte Hintergründe nicht kennt und deshalb nur das halbe Bild sieht?
Sehr anstrengend und zeitintensiv, deshalb umso ärgerlicher, wenn man sich mit solchen ungebetenen Ratschlägen beschäftigen muss.
3. Mansplaining oder „Mädchen, ich erklärt dir das mal“
Mansplaining habe ich bisher glücklicherweise nicht sehr oft erlebt. Aber ich höre sehr, sehr häufig von anderen Selbstständigen davon, dass wieder mal ein Mann sich berufen gefühlt hatte, ihnen die Welt und ihren Job zu erklären. Grundsätzlich sind Männer als Feedbackgeber natürlich genauso hilfreich wie Menschen aller anderen Geschlechter. Mansplaining meint aber solche, die glauben, sie hätten in einem Bereich mehr Wissen und Kompetenz und müssten der anderen (meist weiblichen) Person erklären, wie sie zu handeln hat. Typisch Mansplaining sind Rückmeldungen wie:
- „Das macht man doch heute ganz anders, hat die Forschung längst erwiesen. ICH weiß, dass…“
- „Das ist aber eine sehr softe Herangehensweise, die definitiv nicht funktionieren wird, weil man ja weiß, das…“
- „Wenn ich das umsetzen müsste, würde ich es ganz anders machen, weil du völlig vergisst, dass…“
- „Vielleicht ist dir nicht bewusst, dass du hier einen groben Fehler begehst, denn…“
Ja, mühsam. Wenn wir damit anfangen müssen unsere Kompetenz als Expertinnen unseres Fachs erst einmal zu beweisen, sitzen wir vermutlich nicht eine Stunde, sondern drei Tage im Webinar. Aber vielleicht könnte mancher Mansplainer unsere Tipps dann ja sogar annehmen?
4. Der „Ich hab das aber ganz anders gehört“-Teufelskreis
Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann davon, dass es unterschiedliche Herangehensweisen und Möglichkeiten gibt. Klar, dass 1+1 am Ende 2 ergibt, ist und bleibt so, aber wie du nun deine Online-Sichtbarkeit aufbaust, welche Methode du nutzt, um Content zu erstellen, ob du meine vier Bestandteile eines Elevator Pitches für Selbstständige nutzt, oder nur drei, bleibt dir überlassen. Furchtbar nervig ist nur, wenn Menschen daherkommen und dir ihr gelerntes oder aufgeschnapptes Wissen ungefragt entgegenschleudern und damit mehr oder weniger direkt deine Herangehensweise in Frage stellen. Damit meine ich Äußerungen wie:
- „Ich will ja nichts sagen, aber Expert*in xyz vermittelt das ganz anders als du!“
- „In puncto ‚ThemadeinerWahl‚ habe ich aber was ganz anderes gehört. Viele sagen, man solle das lieber so und so machen…“
- „Neulich hab ich irgendwo gelesen, dass das gar nicht stimmt. Es ist nämlich so, dass…“
- „Du sagst, du nimmst WordPress dafür. Ich finde das aber überflüssig, weil doch Wix viel sinnvoller ist dafür…“
Nochmal: Klar gibt es unterschiedliche Herangehensweisen und das ist ja auch okay. Wenn du aber die Entscheidung triffst, von jemandem zu lernen oder auch nur den Content von jemandem zu konsumieren, sollte so viel Offenheit vorhanden sein, unterschiedliche Herangehensweisen zu tolerieren. Die Tatsache, dass man Dinge unterschiedlich angehen kann, bedeutet nicht, dass ein Weg besser oder schlechter ist. Aber es ist mühsam andere immer wieder von der eigenen Meinung „überzeugen“ zu wollen.
5. Die „Du hast zwar was anderes gefragt, aber wenn wir schon reden, muss ich noch sagen…“-Schleife
Nun, mancher ungebetener Ratschlag kommt auch ganz tricky daher, nämlich in Begleitung eines erbetenen Feedbacks. Typische Beispiele:
- Du fragst, ob die Anzahl der Fragen in deinem Fragebogen angemessen ist und bekommst diese Antwort, aber zusätzlich Kritik zum Design, Hinweise zur Formulierung und ein generelles Infragestellen, ob du überhaupt die richtige Zielgruppe befragst.
- Du fragst, warum jemand ein Angebot nicht gebucht hat und bekommst die subjektiven Gründe und zusätzlich Kritik an deiner ganzen Herangehensweise, sowie den Bericht der kompletten persönlichen Lebensgeschichte.
- Du fragst deine Community nach Empfehlungen für ein gutes Buch über Stimmtraining und bekommst diese, aber zusätzlich Hobby-Mediziner-Tipps oder seitenwese Abhandlungen über Verstrickungen in der Ahnenlinie, die deine Stimme überhaupt erst so kratzig gemacht haben.
Feedback zu geben ist wirklich eine Kunst und tatsächlich auch eine Kunst des bewussten Beschränkens darauf, wonach wirklich gefragt wurde.
6. Die „Ich habe bei dir x Fehler gefunden!“-Rufe
Diesen Typus finde ich schwieriger zu erfassen, weil es grundsätzlich ja hilfreich ist, wenn wir auf Fehler hingewiesen werden. Ich bin z.B. dankbar, wenn mich jemand darauf hinweist, dass ein bestimmter Link nicht mehr funktioniert, oder eines meiner Videos einen groben Schnittfehler hat und dadurch Inhalt fehlt. Ungebetene Ratschläge dieser Kategorie sind eher so Dinge wie:
- „Ich habe deine Website analysiert und 267 gravierende Fehler gefunden. Wenn du mein Paket für 50000 Euro buchst, verrate ich sie dir.“ (Ist effektiv plumpe Kaltakquise über Angstmache, statt Feedback)
- „Du hast in deinem Blogartikel mit 3.000 Wörtern einmal das „Du“ großgeschrieben und sonst immer klein!“ (Ist nett, aber frisst im Verhältnis zur Schwere des Fehlers = fällt kaum ins Gewicht, sehr viel Zeit.)
Wenn ich woanders Fehler bemerke, verfahre ich für mich so, dass ich mich frage, ob ich froh wäre über so einen Hinweis, weil er mir wirklich hilft einen groben Fehler zu beseitigen. Das ist natürlich subjektiv, aber immerhin eine erste Orientierung.
Aber darf man denn nun gar nichts mehr sagen?
Doch, klar, darf man. Aber eines geht nicht: Jegliche ungefragte Kritik, teilweise Beleidigungen und Unterstellungen oder einfach die eigene schlechte Laune anderen hinschmeißen und damit rechtfertigen, dass man „halt einfach ehrlich ist!“ Ehrlichkeit ist eine feine Sache, aber sie ist manchmal gar nicht gefragt. Und dann darf man zwar immer noch alles sagen, was man will, aber wertschätzender wäre es manchmal zu schweigen. Das hat übrigens nichts damit zu tun, dass einem der Mund verboten wird, sondern einfach mit einem angenehmen Miteinander.
Oder gehen wir raus und rufen jedem, der ein Outfit trägt, das uns nicht gefällt, entgegen, dass er ja mal richtig bescheuert aussieht? Vermutlich nicht! Wir denken uns das für uns und lassen dem anderen seine Meinung. Schweigen ist eine valide Option!
„Ich bin halt ehrlich“ rechtfertigt nicht, anderen ungefragt alles Mögliche an den Kopf zu werfen!
Warum ungebetene Ratschläge mehr schaden als nutzen
Auch wenn die meisten wahrscheinlich mit positiver Absicht geäußert werden, sind ungebetene Ratschläge nicht nur unangebracht, sondern unter Umständen sogar schädlich. Aus u.a. folgenden Gründen:
1. Ungebetene Ratschläge fressen Ressourcen, die woanders fehlen
Stell dir mal vor, du bekommst zehn ungebetene Ratschläge in dein Postfach. Selbst wenn du dich entscheidest, nicht darauf einzugehen, fressen sie bereits Ressourcen, denn sie kosten dich deine Zeit. Die Nachricht zu öffnen, kostet Zeit. Dir zu überlegen, ob und was du darauf antworten möchtest, kostet Zeit. Und wenn du nett sein willst und alle beantworten möchtest, davon umso mehr. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nur mit unserer Zeit achtsam umgehen, sondern auch die anderer nicht einfach verschwenden, indem wir ihnen ungefragte Meinungen und Co. hinwerfen.
Übrigens gilt das insbesondere auch für googlebare Nachfragen. Dinge wie Reaktionen auf deine Instagram-Story vom Typ „Wo ich das gerade in deiner Story sehe eine Frage an die Expertin: Schreibt man ‚authentisch‘ jetzt mit ‚h‘ oder ohne?“ Das ließe sich auch in wenigen Sekunden googlen, ohne die Zeit eines anderen zu beanspruchen. Ist im Einzelfall nicht tragisch, aber wer weiß schon, ob du die erste oder zehnte bist, die so eine Reaktion schickt?!
2. Ungebetene Ratschläge verunsichern Menschen
Und dann ist es leider so, dass nicht jeder Mensch zu jeder Zeit die Gabe hat, alles an sich abperlen zu lassen. Worte lösen Reaktionen aus: Das kann ein rasches Abwinken sein, aber eben auch ein Zweifeln, ob da denn nicht etwas Wahres dran sein könnte. Ob man denn etwas nicht gut genug mache? Ob man lieber nicht mehr verkaufen soll. Letzterer Punkt schmerzt mich besonders, weil ich eben täglich mit Menschen zu tun habe, die nicht aktiv verkaufen, weil sie Angst haben, blöde Reaktionen zu bekommen. Es ist absolut unfair und unkollegial (oft kommen ungebetene Ratschläge ja auch von Mitbewerber*innen) anderen einfach ungefragt die Meinung hinzuklatschen und damit einen Ball in ein Spielfeld zu werfen, obwohl man gar nicht auf dieses Spielfeld eingeladen wurde.
3. Ungebetene Ratschläge mindern die Qualität
Oftmals sind Ratschläge zwar nett gemeint, aber haben bei genauerem Hinsehen gar keine Substanz. Nehmen wir an, du bekommst ein Feedback von einer Bekannten, dass deine Art Coachingsessions aufzubauen ja total verwirrend ist. Diese Bekannte ist aber gar nicht in deiner Zielgruppe und überhaupt nicht deine potenzielle Kundin. (Typ 2: Wenig Ahnung, aber viel Meinung) Wenn du nun hingehst und auf Basis dieser unqualifizierten Meinung dein ganzes Angebot umbaust, verschlimmbesserst du es vielleicht sogar unbewusst. Weil eine Person ihre Meinung nicht für sich behalten konnte. Tragisch und ein Killer deiner Produkt-Qualität.
Warum ich mir mehr Achtsamkeit beim Feedbacken wünsche
Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass wir ganz schön viel kaputt machen können, indem wir unsere Meinung einfach aufs Feld werfen. Ja, auch wenn wir beste Absichten hatten. Und ja, insbesondere wenn es uns einfach nicht passt, wie eine andere Person vorgeht.
Letztlich ist es an uns so viel Toleranz zu ermöglichen, dass wir anderen zugestehen ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Dass wir ihnen sogar die Kompetenz zutrauen, sich etwas dabei gedacht zu haben. Und ihnen, wie auch uns selbst erlauben auf dem Weg zu lernen, auszuprobieren, Dinge auszutesten und zu verändern. Ohne, dass wir wie mahnende Kontrolleure am Spielfeldrand stehen und sagen „Du du du, SO GEHT DAS ABER NCHT, WEIL…“
Es tut nicht gut, sondern schadet in den allermeisten Fällen. Und wollen wir anderen wirklich schaden? Oder uns vielleicht manchmal einfach nur ein bisschen besser fühlen, indem wir unsere Meinung irgendwo abladen können? Das ist sicher nicht die schönste Erkenntnis, aber oft eben die zutreffende. Letztlich ist es aber niemals der Job eines anderen, sich um unsere Emotionen zu kümmern, sondern unser eigener.
- Wenn du dich genervt fühlst, verlass den Laden. Aber ohne dem Verkäufer nachzubrüllen, dass er ja wohl nicht ernsthaft so penetrant verkaufen kann.
- Wenn dich etwas nicht interessiert, entfolge einer Seite. Aber ohne dem Betreiber eine 5000-Zeichen-Privatnachricht zu schreiben, warum du nun gehst und was du alles empfunden hast nach dem letzten Verkaufspost. Du darfst dich um deine Reaktionen kümmern, ohne von anderen zu erwarten, sich anders zu verhalten, um diese bloß nicht auszulösen.
Quick-Check: Soll ich was sagen oder nicht?
Und noch ein hilfreicher Check, falls du dir mal unsicher bist, wie du verhalten sollst, um das wertvolle Feedback-Gold unbedingt zu erhalten, aber die belastenden ungebetenen Ratschläge zu vermeiden. Beantworte dir einfach nur zwei kurze Fragen:
- Wurde ich um Feedback zu dieser Sache gebeten?
- Möchte ich etwas Nettes zurückgeben?
Bei 1 oder 2 x Ja: Go fot it und raus damit.
Bei 2 x Nein, lass es einfach.
It’s that simple.
Auf mehr Wertschätzung und hilfreiches Feedback für uns alle!
PS: Und was, wenn ich merke, dass ich einen ungebetenen Ratschlag gegeben habe?
Das passiert sowieso, ganz vermeiden können wir es wohl nicht. Deshalb ist es mir ja so wichtig, hier etwas mehr Achtsamkeit zu schaffen, damit es uns beim nächsten Mal vielleicht vorher auffällt, dass wir gerade dabei sind ungebetene Ratschläge zu verteilen. Also: Keine Panik, in Zukunft versuchen achtsamer zu sein und ggf. einfach ein kurzes „Sorry“ an die Person, an die der letzte ungebetene Ratschlag gerichtet war, nachschieben.
Lernen wir miteinander etwas achtsamer zu kommunizieren, dann ist schon viel gewonnen.
Liebe Sonja,
vielen Dank für diesen Artikel. Ich frage mich wirklich, ob diese ungebetenen Ratschläge so ein Unding in der Online-Bubble geworden sind. Würden die Personen das auch offline machen? Jedenfalls liebe ich diesen Artikel!
Alles Liebe
Sophie
Hallo Sophie,
so gern! Hm, grundsätzlich passieren ungebetene Ratschläge glaub ich überall zwischen Menschen. Aber online scheint mir auch die Hemmschwelle niedriger zu sein. Wenn ich mir z.B. überlege, dass jemanden stört, wenn ich in meinem Geschäft (also auf meinem Profil, in meinem Newsletter oder Blog) mehrfach auf mein Angebot hinweise, dass derjenige mich darauf hinweisen muss, frag ich mich schon, wie das Offline-Pendant dazu aussähe. Man kann ja einen Laden verlassen, wenn einem was nicht gefällt (sich vom Newsletter abmelden, der Seite nicht mehr folgen etc.), aber würde ich es dann offline nicht einfach dabei belassen? Kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass so viele Leute den Laden erst verlassen, um dann nochmal reinzulaufen und dem Verkäufer zu sagen, wie unnötig sie seine Kommunikation finden. Online machen das Menschen aber tagtäglich. 🤷🏻
Wie geht’s dir mit dem Thema? Bekommst du viele ungebetene Ratschläge?
Viele Grüße
Sonja
Hallo Sonja, ein wichtiger, und wie ich denke auch mutiger, Artikel – vielen Dank dafür. Ich kenne das auch mit den ungebetenen Ratschlägen, sei es von mir und auch von anderen an mich.
Ich kenne den Satz mit der Positionierung so sehr! Gerne fragen mich andere Selbständige, wie ich denn meine Kund*Innen finde, welche Aquise ich betriebe. Und wenn ich dann mein Marketing kurz aufzähle, kommt immer dieser Satz mit dem Inhalt: Du willst mehr Klient*innen? Dann reicht das nicht, mach mehr.
Wenn es mir wirklich zu dumm wird, kontere ich: Ich könnte natürlich auch halbnackt mit dem Sandwichboard auf der Mönckebergstraße (Haupteinkaufsstr. in Hamburg) umhertanzen, doch ich fürchte, das käme nicht so seriös rüber. Dann lachen alle und gut issses.
Ich bin übrigens Heilerin, das ist schon exotisch genug für die meisten. 😉
Hallo Stephanie,
interessanter Konter! 😄
Das mit der Positionierung ist so ein typischer Satz aus dem Bekanntenkreis, glaube ich. Viele Marketing-Laien sagen „Viiiieeel breiter aufstellen“, dann fragst du Marketingleute und die sagen „So spitz wie möglich positionieren“ und dann kann die für dich richtige Variante trotzdem noch irgendwo dazwischen liegen.
Ich glaube, wenn wir zum allgemeinen Konsens kommen könnten, dass Menschen Dinge unterschiedlich angehen und das okay so ist, sind wir schon sehr weit. 👏🏻 Und wenn dann ein Weg trotzdem nicht so gut klappt, können wir ja Menschen fragen, die sich damit auskennen. Ist ja durchaus was dran am breiter oder spitzer aufstellen, je nach Business. 😄
Ich schick dir liebe Grüße!