Maria Ehrenberg ist Coach für berufliche Erfüllung & Neuorientierung und hilft Menschen dabei, mit sich und ihrer Arbeit im Reinen zu sein. Im Interview verrät sie, wie wir auch in der Selbstständigkeit mehr Sinn finden können, statt nur „selbst und ständig“ zu sein und wie du herausfinden kannst, was deinem Business Sinn gibt.
Liebe Maria,
du hilfst Menschen weg vom Abrackern hin zur Sinnerfüllung im Berufsleben zu gelangen. Für viele ist dieses Vorhaben der Grund dafür, überhaupt in die Selbstständigkeit zu starten, um endlich ihr eigenes Ding zu machen. Wie kommt es aus deiner Sicht dazu, dass sich dann trotzdem auch viele Selbstständige mehr nach „abgerackert“ als nach „sinnerfüllt“ wahrnehmen?
Was Menschen unter Sinn verstehen, ist sehr unterschiedlich. Das Verständnis geht da sehr weit auseinander. Darum erst einmal ein paar Worte zu meinem Verständnis von Sinn. Ich verstehe Sinn als Bedeutung, die wir den Dingen geben. Sinn ist etwas Ganzheitliches, eine „innere Beziehung zu etwas“ und betrifft unser Leben als Ganzes. Sinnerfüllt arbeiten und sinnerfüllt leben hängen also zusammen.
Was viele nicht wissen: Sinn hat ein paar widerspenstige Eigenschaften. Darum kann es manchmal schwierig erscheinen, den eigenen Sinn zu finden.
Nichts hat an sich Sinn. Wir geben den Dingen Sinn. Eine Selbständigkeit ebenso wie ein Job kann also nicht per se Sinn haben. Wir selbst machen es zu unserer sinnvollen Aufgabe.
Sinn ist subjektiv. Was für mich sinnvoll ist, muss jemand anderen nicht vom Hocker hauen.
Sinn ist veränderlich. Mit unserer eigenen Entwicklung kann sich auch das, was wir als sinnvoll empfinden, verändern.
Dann müssen wir noch unterscheiden: Mit sinnvoller Arbeit kann zweierlei gemeint sein.
Gesellschaftliche Dimension: Oft sind damit solche Jobs gemeint, die gesellschaftlich als sinnvoll betrachtet werden. Die meisten würden zustimmen, dass ÄrztInnen, Lehrkräfte oder Pflegepersonal sinnvolle Arbeit machen. Die können ihre Arbeit im Alltag allerdings auch als nicht sinnvoll erleben oder sich – trotz ach so sinnvoller Arbeit – beruflich am falschen Platz fühlen.
Individuelle Dimension: Andererseits gibt es das, was individuell als sinnvoll erlebt wird. Das was jemandem wichtig ist und möglicherweise auch noch einen Bezug zu etwas „Größerem“ hat. Bspw. kann jemandem ein aufrichtiges Miteinander wichtig sein. Ihr eigenes aufrichtiges Auftreten sieht sie dann als Beitrag zu gelingender Kommunikation und möglicherweise einen Baustein für eine bessere Welt. Dieses aufrichtige Miteinander ist dann in allen Lebensbereichen relevant – auch in der Selbständigkeit.
Nun zu deiner Frage, wie es kommt, dass sich auch viele Selbstständige mehr nach „abgerackert“ als nach „sinnerfüllt“ wahrnehmen.
„Mein Ding“ ist nicht mehr mein Ding: Es kann sein, dass das was als „mein Ding machen“ begann, heute nicht mehr zu mir passt. Wenn eine Selbständige wenig Zeit hat, kann sie nicht innehalten und reflektieren. Nur durch Innehalten und Reflektieren kommen wir aber vom Abrackern zur Sinnerfüllung: „Wo stehe ich gerade? Bin ich noch auf meinem Weg?“.
Erwartung an die Arbeit als Selbständige: Auch die bewusste oder unbewusste Erwartung an die Arbeit als Selbständige wirkt sich darauf aus, ob wir entspannt oder im Hamsterrad unterwegs sind. Die Idee, dass es schwer ist selbständig zu sein, kann sich negativ auf uns auswirken. Auch die Überzeugungen, dass es bestimmte Strategien gibt, die ich nur perfekt umsetzen muss oder dass ich ständig aktiv sein muss, kosten Kraft.
Orientierung im Außen: Selbständige orientieren sich – wie viele andere MitteleuropäerInnen – viel im Außen. Wir suchen nach dem Geheimrezept fürs erfolgreiche Business, der wahren Strategie zur Kundengewinnung, dem einzig wahren Plan für Social Media usw. usf..
Damit orientieren wir uns an anderen und passen uns an. Grundsätzlich gibt es gute Tipps und Empfehlungen in der Businesswelt, jedoch müssen wir mit uns selbst verbunden sein. Nur wenn wir wissen, wer wir selbst sind, was uns wichtig ist und wozu wir hier sind, können wir einschätzen, welche Empfehlungen wir für uns übernehmen können. Macht das Sinn für dich? 😁
Ein wunderbares Beispiel für konsequent gelebten Sinn ist Alexandra Polunin.
Hier ein paar Reflexions-Fragen für Selbständige:
- Wozu tue ich, was ich tue?
- Was erwarte ich von meiner Arbeit, meiner Selbständigkeit?
- Was ist mir wirklich wichtig?
- Sind die einmal gefundenen Antworten noch gültig?
- Was bedeutet das für meine Arbeit? Lebe ich danach?
- Passt die Art und Weise wie ich arbeite zu mir und dem, was mir wichtig ist?
- Was soll so bleiben? Was will ich nicht mehr?
- Welche Konsequenzen ziehe ich daraus?
Was sind aus deiner Erfahrung die wichtigsten Hinweise, dass in einer Selbstständigkeit der tiefere Sinn fehlt? Welche Anzeichen gibt es vielleicht, an denen Selbstständige das erkennen können?
Konkrete Anzeichen können sein, dass die Arbeit Überwindung oder sehr viel Kraft kostet. Dauerhaft schlechte Laune ist auch ein guter Indikator dafür, dass etwas nicht stimmt. Das Gefühl, am Wesentlichen vorbeizuleben gesellt sich zum Fehlen eines tieferen Sinns. Es ist unklar, wozu das Ganze hier eigentlich stattfindet. Sinn fehlt, wenn ich das was ich tue, nicht in einen größeren Kontext einbetten kann. Wozu tue ich das? Wozu arbeite ich mit diesen Menschen zusammen? Warum auf diese Art und Weise? Die Reflexionsfragen (s.o.) können weitere spannende Erkenntnisse bringen.
Sinn fehlt, wenn ich das was ich tue, nicht in einen größeren Kontext einbetten kann. (Maria Ehrenberg)
Wenn Selbstständige bemerken, dass sie den Sinn in ihrem Business nicht (mehr) erkennen können: Was können sie tun, um ihren wahren Sinn im Business zu finden?
Der Sinn im Business ist ja nie losgelöst vom Sinn im Leben. Also wird es Zeit für eine Deep-Dive-Reflexions-Auszeit – mit den Fragen weiter oben. Für den Anfang reicht vielleicht schon eine Stunde. Aber auch ein ganzer Tag ist super. 😊 Innehalten, Pause machen und ehrlich reflektieren wird die Antworten bringen.
Wer bin ich und was will ich hier mit meinem (begrenzten!) Leben anstellen? Was glaube ich, wozu bin ich da? Welchen Unterschied macht meine Arbeit (für wen oder was?)?
Wie passt mein Business da hinein? Wo arbeite ich gegen mich und meine Werte?
Kenne und lebe ich meine Berufung? Eine Möglichkeit, die eigene Berufung zu finden, ist der Karriere-Navigator.
Im Einklang mit der eigenen Berufung können wir eine Selbständigkeit entwickeln, die stimmig für uns ist. Vermutlich gibt es dann immer noch Aufgaben, die nicht nur frenetischen Jubel auslösen, doch im Großen & Ganzen passt es zu uns.
Der Blick von außen kann sehr hilfreich sein. Über die gefundenen Antworten zum sinnvollen Business können wir uns mit Vertrauten, einem Coach oder Mentorin austauschen. Bitte wirklich nur mit Wegbegleitern, die uns kritisch und liebevoll unterstützen. Meide die Das-geht-alles-nicht-Nörgler.
Behalte im Hinterkopf: Sinn ist individuell und muss für niemanden außer uns selbst Sinn machen.
Ich erlebe immer wieder, dass Selbstständige zwischen ihrer erlernten Expertise und dem, was sie vom Herzen her antreibt unterscheiden. Sie haben Bedenken mit dem, was sie lieben, Geld zu verdienen und für ihre Berufung Geld zu verlangen. Wie siehst du das? „Darf“ man mit dem persönlichen Sinn Geschäfte machen? Und wie kann man mit solchen Gedanken umgehen?
Schön, dass du das ansprichst! Das ist ein wichtiges Thema, das zwei Aspekte hat. Einen persönlichen und einen kollektiven.
Persönlicher Aspekt: Wir alle haben Überzeugungen zu Arbeit und Geld, zu unseren Talenten und Fähigkeiten. Diese Überzeugungen sind geprägt durch unsere Erfahrungen, unsere Familie und unser Umfeld. Beispiele für solche Überzeugungen sind „Geld gibt es nur mit harter Arbeit“, „Geben ist seliger denn nehmen“, „Geld ist die Wurzel allen Übels“, „Geld stinkt“, „Arbeit ist Mühsal“, „Selbständigkeit = selbst + ständig“. Solche (oft auch unbewussten) Überzeugungen nennt man Glaubenssätze. Die wirken entweder unterstützend oder hemmend. Das kann bedeuten, dass wir Arbeit, die uns leichtfällt nicht als „richtige Arbeit“ betrachten. Oder dass wir keine angemessenen Preise benennen oder uns als Selbständige mit Geldthemen unwohl fühlen.
Diese Überzeugungen sind keine Naturgesetze!! Auch wenn sie sich manchmal so anhören oder anfühlen. Sie sind keine Naturgesetze, also sollten wir sie hinterfragen und die hinderlichen Glaubenssätze hinter uns lassen.
Kollektiver Aspekt: Das andere ist der kollektive Aspekt, der v.a. Frauen betrifft. Ich beobachte, dass eher Frauen sich schwertun, mit ihrem Herzensprojekt gutes Geld zu verdienen. Kein Wunder, wir leben im Patriarchat. Frauen dürfen noch gar nicht lange selbst was wollen. Es gibt also keine kollektive Erfahrung im Umgang mit Geld oder damit, die eigene Berufung (jenseits von Küche und Kindern) zu leben. Das klingt vielleicht erst einmal komisch, weil es für uns heute selbstverständlich ist zu entscheiden, wo und wie wir arbeiten, wo und wie wir Geld verdienen und was wir mit dem Geld anstellen. Doch diese Rechte sind noch nicht alt. Erst seit 1958 dürfen Frauen ein eigenes Konto eröffnen. Bis 1977 durfte eine Frau in der BRD nur berufstätig sein, wenn das ihre „familiären Pflichten“ nicht gefährdete. Schau ruhig mal in deiner Herkunftsfamilie wie da die Aufgaben verteilt waren.
Puh! Und da reden wir noch nicht über das Thema „Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“. Der Equal Pay Day markiert symbolisch den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen.
Was kann man tun?
Zunächst einmal: Innehalten und reflektieren, was los ist. Man muss ja erst einmal erkennen, dass die Idee, die man vom Geldverdienen oder vom Arbeiten hat, kein Naturgesetz ist. Mit Selbstcoaching kann man schon einiges durchleuchten und hinderliche Überzeugungen erkennen. In dem ganzen Prozess sollte man mit sich selbst gnädig sein. Kommt man selbst nicht weiter, kann man sich von einem Profi begleiten lassen.
Was die kollektiven Aspekte angeht, sollten wir solidarischer miteinander sein. Wegen fehlender Geldkompetenz sollten wir uns nicht selbst fertig machen, sondern schauen, was wir noch lernen können. Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass Frauen sich zusammenzutun um die Welt neu zu gestalten.
Und nun, liebe Sonja, beantworte ich abschließend deine Frage „Darf“ man mit dem persönlichen Sinn Geschäfte machen? Unbedingt, ja! Wir dürfen mit unserer sinnvollen Arbeit Geld verdienen.
Wenn du Menschen dabei begleitest, wieder mehr Sinn in ihrem Berufsleben zu finden, gehst du mit ihnen erst einen Schritt zurück, statt in die Zukunft. Warum ist dieser Blick zurück wichtig, um mehr Sinnhaftigkeit zu erreichen?
Menschen beginnen oft nach mehr Sinn zu suchen, wenn er fehlt. Auslöser können persönliche oder berufliche Krisen sein, berufliche Unzufriedenheit, der Wunsch nach (persönlicher, beruflicher, spiritueller Entwicklung).
Der Blick zurück auf den bisherigen Weg bedeutet bewusstes Reflektieren. Wenn wir verstehen, wie wir hierhergekommen sind, was uns bewusst oder unbewusst geleitet hat, können wir uns zukünftig anders entscheiden. Wir können erkennen, was uns zufrieden macht, was uns motiviert und auch Auslöser von Unzufriedenheit und Demotivation. Das Ungute können wir erfassen und vielleicht sogar hinter uns lassen und das Gute weiter für uns nutzen.
Womöglich können wir in diesem Blick zurück auch schon unseren Sinn erkennen – manchmal dadurch, dass er fehlt.
Viele meiner Kund*innen beschreiben mir, dass ihnen ihr Marketing schwerfällt, weil sie sich nicht auf eine sehr enge Nische fokussieren, sondern lieber vielseitig aufgestellt sein wollen. Wie ist das beim beruflichen Sinn? Kann auch der variieren oder darf ich gar mehrere Vorstellungen von meiner Sinnerfüllung haben? Oder gibt es quasi immer einen Sinn, der über allem steht?
Ich bin kein Fan von Dogmen und Welterklärungen a la „So ist es! (Donner) Und es darf nicht anders sein!“(Donner und Blitze).
Sinn ist ein weites Feld mit vielen „Wahrheiten“. Sinn ist, wie oben schon erwähnt, subjektiv und veränderlich. Das Fluide liegt in seiner Natur und Sinneswandel ist sowas von in Ordnung.
Den eigenen Sinn findet man durch spielerisches Rantasten. Mit der Zeit kann der sich verändern, andere Facetten bekommen, „größer“ werden, abstrakter oder auch konkreter.
Wichtig ist, dass der eigene Sinn ermöglicht, Entscheidungen zu treffen, die für mich stimmig sind, also sinnvoll.
Maria, möchtest du abschließend mit uns teilen, was dein Sinn im Business ist und wie du sicherstellst, dich in deiner Arbeit sinnerfüllt, statt abgerackert zu fühlen?
Für mich ist es Sinnerfüllung pur, wenn ich anderen bei ihrer Entwicklung weiterhelfe. Das mache ich ja, wenn ich Menschen helfe, mit sich und ihrer Arbeit im Reinen zu sein. Mir ist wichtig, dass ich dabei meine Talente einbringen kann, immer wieder Neues erfahre und meine Arbeit selbst gestalten kann. Ich sorge dafür, dass ich mich mit Themen beschäftige, die mich interessieren. Im Großen und Ganzen bin ich gut organisiert und teile mir Aufgaben so ein, dass ich sie gut erledigen kann. Fühle ich mich innerlich „unrund“ oder abgerackert, dann sondiere ich, woran es liegt. Entweder schaue ich mir das im Selbstcoaching an oder wende mich an einen guten Coach. Bei dem was ich tue, prüfe ich regelmäßig, ob es mir und meiner Berufung entspricht. Das hat sich für mich bewährt.
Vielen Dank für das Interview, Maria!
Mehr über Maria und ihre Arbeit findest du auf ihrer Website www.mariaehrenberg.com. Schau doch gerne mal bei ihr vorbei!